Anmerkungen und Erinnerungshilfen für alle „Stammtischbrüder“ und Nachläufer der Neo-Nazis und AfD am Beispiel der Verfolgung von Alkoholikern im Dritten Reich
Die AfD wollte unter anderem am 30. April 2016 auf ihrem Parteitag in Stuttgart ein neues Parteiprogramm beschließen (Link zum Download: https://correctiv.org/media/public/a6/8e/a68ed5e4-32a8-4184-8ade-5c19c37ff524/2016_02_23-grundsatzprogrammentwurf.pdf ), das auch gegen Menschen mit Behinderung schießt. So sollen nicht nur Sozialleistungen gekürzt werden, sondern auch psychisch Kranke und Alkoholiker ins Gefängnis gesteckt werden. Der diesbezügliche Antrag lautet: „Nicht therapierbare Alkohol- und Drogenabhängige sowie psychisch kranke Täter, von denen erhebliche Gefahren für die Allgemeinheit ausgehen, sind nicht in psychiatrischen Krankenhäusern, sondern in der Sicherungsverwahrung unterzubringen.“
Letztlich kam es nicht zu diesem Beschluss, aber die grundsätzliche Haltung ist geblieben (s. auch https://www.sueddeutsche.de/politik/sozialverbaende-die-afd-wertet-das-leben-von-behinderten-als-nicht-lebenswert-ab-1.3956029 ).
Von den Ewiggestrigen – also jenen, die den Naziterror teils leugnen oder nichts daraus gelernt haben, hört man gelegentlich offen oder versteckt die Phrase: „Unter Hitler hätt’s das nicht gegeben.“ An Stammtischen, wenn genug Alkohol geflossen ist, dann meint man, dass alles, was nicht passt, vermeintliche Missstände unserer bunten, pluralistischen und offenen Gesellschaft, unter Hitler nicht möglich gewesen wäre. Jene trinkfreudigen Stammtischbrüder und Nazi-Sympathisanten vergessen nur: Alkoholiker sollte es in der nationalsozialistischen Zeit auch nicht geben, nach den Vorstellungen der herrschenden, so genannten „Rassenhygiene“ waren diese „unwertes Leben“ und damit zum Abschuss freigegeben. Sie landeten in den Euthanasiezentren oder in den Konzentrationslagern. Beides kam Todesurteilen gleich. Ihre Kinder wurden oft sterilisiert.
So mancher dieser Stammtischbrüder wäre also auch betroffen gewesen, aber anders als erwartet.
Bereits 1923 war in Hitlers „Mein Kampf“ zu lesen: „Er (Anm.: der völkische Staat) muss dafür Sorge tragen, dass nur wer gesund ist, Kinder zeugt, dass es nur eine Schande gibt: bei eigener Krankheit und eigenen Mängeln dennoch Kinder in die Welt zu setzen…“, Alkoholismus galt als solcher „Mangel“. Das wurde zwar im „Reichsgesetzblatt Teil 1“ vom 25. Juli 1933 noch nicht so „amtlich“ festgeschrieben. Der veröffentlichte Text lautete: „1. Angeborener Schwachsinn, 2. Schizophrenie, 3. Zirkulares (manisch-depressives) Irrsein, 4. Erbliche Fallsucht, 5. Erblicher Veitstanz, 6. Erbliche Blindheit, 7. Erbliche Taubheit, 8. Schwere erbliche körperliche Missbildung“, allesamt „auszumerzende“ Erkrankungen nach dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Aber schon in den Ausführungen zu diesem Gesetz findet sich im Anhang der „Alkoholismus“. Dass dieser nicht in der amtlichen Liste der „volksschädlichen Erkrankungen“ gelistet war, stieß der damaligen auf „Rassenhygiene“ fixierten Wissenschaft sauer auf.
Der Psychiater und Neurologe der Universität Bonn, Prof. Kurt Pohlisch, ließ sich 1934 in dem Buch „Die psychiatrischen Aufgaben bei der Ausführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ mit einem Anhang zu „Die Techniken der Unfruchtbarmachung“ lang und breit darüber aus, dass hier anscheinend Alkohol und seine Folgeerscheinungen nicht genügend gewürdigt wurden und Pohlisch bleibt Erkenntnisse nicht schuldig: „Es ist früher nicht berücksichtigt worden, dass die Mehrzahl der Gewohnheitstrinker ihrer Anlage nach abnorme Menschen sind, und zwar meist Psychopathen. … Von solchen Individuen kann man, auch ohne Hinzutreten des Alkoholmissbrauchs nicht ohne weiteres gesunde Nachkommen erwarten.“
Es kam in der Folge zur sogenannten Euthanasie, der Auslöschen „unwerten“ Lebens.
Im Dritten Reich war damit nicht Sterbebegleitung, sondern Mord gemeint. Von 1939 bis 1945 wurde in rund 25 Anstalten systematisch „lebensunwertes Leben“ vernichtet bzw. wurden Massensterilisationen durchgeführt. Die Arten des „Auslöschens unwerten Lebens“ waren verschieden: Ermordung durch tödliche Spritzen, Vergasung oder der Hungertod. Die Angehörigen erhielten Urnen und ein nichtssagendes Schreiben zu einer angeblichen „natürlichen“ Todesursache. Wie groß die Zahl der ermordeten Alkoholiker war, kann heute nicht mehr genau festgestellt werden, da oft nur „Irresein“ oder „Schwachsinn“ als „Einweisungs“-Diagnosen festgehalten wurden.
Wer nicht in die Todesmaschinerie dieser Euthanasie-Anstalten kam, den erwartete bereits ab 1934 eine andere, wesentlich bekanntere „Eliminierungsform“: Die Konzentrationslager. In diesen landeten – erstmals in Dachau auf Anordnung Heinrich Himmlers, damals noch SS-Chef und frisch ernannter Polizeipräsident von München – sogenannte „Asoziale“. Per Definition waren das „gemeinschaftsfremde“, also als minderwertig eingeschätzte Menschen. Aus „sozialhygienischen Gründen“ fielen darunter „Bettler, Prostituierte, Zuhälter, sexuell freizügige Frauen, Landstreicher, nach Zigeunerart herumziehende Landfahrer, Alkoholiker und Personen, die ihre Unterhaltspflicht vernachlässigen“. Alkoholiker wurden in „Trinkerlisten“ und „Sippenakten“ erfasst (ähnlich der Erfassung Homosexueller in „rosa Listen“). Ebenso ähnlich wie Homosexuelle auf ihrer Häftlingskleidung mit einem Aufnäher in Form eines rosa Dreiecks gekennzeichnet wurden, mussten Alkoholiker ein schwarzes Dreieck („asozial“) tragen.
Himmler hatte nie ein Hehl daraus gemacht, dass in den KZs Menschenleben nichts galten. Das scheute er sich auch nicht schon 1933 vor Auslandsjournalisten auszusprechen: „Im Interesse des Staates müssen wir diese Maßnahmen treffen ohne Rücksicht auf kleinliche Bedenken.“
Ob ein Alkoholiker im KZ landete oder in Gestapo- (Geheime Staatspolizei) Haft, war von der Art des Aufgreifens abhängig. Wer sich im Suff öffentlich über Führer, Partei, wirtschaftliche Zustände oder – später – über den Kriegsverlauf negativ äußerte und angezeigt wurde, konnte wegen Defätismus oder gar Hochverrats etc. angeklagt werden. Darauf stand unter Umständen die Todesstrafe. Der Rauschzustand wurde in der Regel nicht als mildernd gewertet. Oder jemand fiel durch Alkoholismus bedingte Obdachlosigkeit, ständige Trunkenheit und Beschäftigungslosigkeit auf, dieser landete zuerst in Polizeigewahrsam – um dann anschließend den Weg ins Konzentrationslager antreten zu müssen.
Ein politischer Häftling (Kommunist) berichtete nach seiner Befreiung und Befragung durch die Alliierten: „Unter den Asozialen waren die Alkoholiker die ärmsten Hunde. Die hatten von der Haft schon einen Entzug hinter sich und waren körperliche Wracks. Die Schinderei im Steinbruch (hier: KZ Mauthausen) hielten die nicht einmal ein paar Tage aus … viele waren auch zu blöd und apathisch, um sich das Essen zu organisieren.“ Andere, so erinnerte er sich weiter, waren in besserer physischer Verfassung. Die „…haben sich den Kriminellen angeschlossen und waren bald an irgendwelchen Posten, wo sie sich einrichten konnten…“. In der KZ-Hierarchie standen Kriminelle und Alkoholiker in den Augen der SS über den Politischen und rassisch Verfolgten wie Juden, Sinti und Roma. Diese Sonderstellung führte dazu, dass sogar Alkohol gegen gewisse Dienstleistungen (wie z.B. Spitzeldienste oder brutales Vorgehen gegenüber anderen Mithäftlingen) „organisiert“ oder zugeteilt werden konnte. Auch Zigaretten gab es als Belohnung und dies an einem Ort, an dem der Hunger- und Entkräftungstod die Regel war, aber eben auf Kosten des Verrats anderer Mithäftlinge.
Einen ganz anderen Stellenwert hatte der Alkohol in Heinrich Himmlers Augen, wenn es sich um Massentötungen an Juden handelte. Bereits ab 1941 waren sogenannte SS-Einsatzgruppen hinter der Ostfront mit Massenerschie0ßungen an Juden beschäftigt. Man konnte den Exekutionskommandos anfangs noch einreden, dass es sich um Partisanen und „Volksschädlinge“ handle, um Kommunisten usw. Bald aber wurden immer öfter Frauen und Kinder getötet. „Um das grausame Geschehen ertragen zu können, tranken viele Mörder „große Mengen Alkohol“, heißt es in einem Bericht aus dem Baltikum. Die an diesen Massenmorden ebenfalls beteiligten Polizisten, hielten dem Druck noch weniger Stand als die zum Teil verrohte SS-Mannschaft, erstere betranken sich nicht nur gelegentlich: „Nicht wenige Polizisten gerieten in Gewissensnöte, erlitten nach der Erschießung von Juden Nervenzusammenbrüche und flüchteten sich in den Alkoholismus.“ Die „harten Sachen“ mussten sich die Mörder nicht selbst beschaffen: „Zur Betäubung wurde viel Alkohol ausgeschenkt.“
Für an der Front stehende Soldaten galt hingegen das Kriegsrecht, wer sich hier in alkoholisiertem Zustand etwas zuschulden kommen hatte lassen musste – je nach Schwere des Delikts und dessen Folgen – auch mit der sofortigen Exekution rechnen.
In den KZ-Lagern – speziell in den Vernichtungslagern – wurde Alkoholmissbrauch unter der Wachmannschaft hingegen nicht so eng gesehen. Der bereits zitierte Häftling wusste zu berichten: „…wenn sie besoffen waren, dann wurden wir alle aus der Baracke ins Freie gehetzt, bei Minusgraden und Sturm und Schnee, so schnell, dass manche nicht einmal in ihre Pantoffeln kamen und dann standen wir stundenlang und mussten singen“. Wer bei so einem Suff-„Spaß“ umfiel, blieb liegen und erfror, wer sich bewegte, wurde verprügelt. „Ein Genosse hat Durchfall gehabt und sich vollgemacht, das wurde beim Durchgang von einem stockbesoffenen Unterscharführer (Unteroffizier, Anm.) bemerkt, dieser hat ihn daraufhin sofort erschossen.“
Betroffen und nachdenklich macht, dass so manche, die heute also zu populistischen Forderungen Hurra schreien und meistens unwissentlich alte, nationalsozialistische Parolen und deren Neuauflage unter dem Programm der AfD bejubeln, sich letztlich selbst und damit irgendwann ihre eigene „Existenzberechtigung“ in Frage stellen. Dass z.B. das Arbeitslosengeld privatisiert werden soll, also private Versicherer diese Leistung für jene anbieten, die sie sich leisten wollen und können, ist nur eine der Programmforderungen der AfD. Viele werden Letzteres finanziell nicht können, die haben dann Pech. Beziehungsweise ihre Familie soll für sie zahlen.
Wer lesen kann, ist eindeutig im Vorteil. Aber genauso wenig, wie die meisten Deutschen sich ehedem tatsächlich mit den kruden Forderungen und Thesen von „Mein Kampf“ beschäftigt hatten, so werden sich heute die wenigsten „Protestwähler“ der AfD mit Forderungen und Inhalten deren Parteiprogramm auseinander setzen. Aus der Geschichte lernen, heißt aber auch, dass das Scheinargument „Davon habe ich ja nichts gewusst“, gerade für uns Deutsche als Schlagmichtot-Ausrede nicht mehr gelten kann.
Wir als trockene Alkoholiker müssten hier in ganz besonderem Maße aufmerksam sein und Position beziehen. Zu Zeiten der Nazi-Diktatur hätten wir noch nicht einmal den Hauch einer Chance gehabt, unter Beweis zu stellen, dass wir „gesellschaftsfähig“ seien. Krank, degeneriert und volksschädlich, das war der Stempel, der uns aufgedrückt wurde. Auszumerzen lautete das Urteil. Ist das nicht schon Grund genug, sich dem erneuten Aufflammen unsäglichen Gedankenguts entschlossen entgegen zu stellen? Wie sagte bereits 1928 der Hetzer und Demagoge Goebbels: „Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Abgeordnete, um die Demokratie mit ihrer eigenen Unterstützung lahmzulegen. Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache“.
Auch 1933 gab es Menschen, die aus Protest die Nazis gewählt hatten. Danach konnten sie nicht mehr protestieren.
Und wer nicht wählen geht, brauch sich nicht zu wundern, wenn er sich in einer Diktatur wiederfindet.