Was wir können und was nicht
Vor jetzt fast 20 Jahren gründeten einige Menschen, trockene Alkoholiker/innen in Duisburg-Neudorf eine Begegnungsgruppe als Selbsthilfegruppe trockener Alkoholiker/innen, die ihr Leben wieder frei und selbstbestimmt führen wollten. Seitdem besteht die Gruppe in veränderlicher Besetzung. Ohne Unterstützung der Thomas-Kirchengemeinde, die uns ein Dach bot und in vielfältiger Weise begleitetete, wäre der Aufbau einer solchen Begegnungsgruppe nur schwerlich möglich gewesen. Jetzt treffen wir uns im Gemeindezentrum der evangelischen Kirchengemeinde Neudorf-Ost. Beiden Gemeinden sei für ihre Unterstützung und Hilfe herzlicher Dank.
Was unsere Begegnungsgruppe aus unserer Sicht ganz besonders prägt, ist auch, dass die Aufgaben der Gruppe, extrem arbeitsteilig wahrgenommen werden. Als nur ein Beispiel von vielen nenne ich hier die regelmäßigen Informationsveranstaltungen in Suchtkliniken, die unnachlässigen Versuche, dortige Patientinnen und Patienten zum Besuch von Selbsthilfegruppen nach der Entlassung aus stationärer Behandlung zu motivieren.
Ich bin nur Sprecher der Gruppe. Gruppe sind wir alle und es gibt bei uns keine Hierarchie. Alte und hoffentlich ehemalige Suffköppe sind wir allemal, ehemalige hoffentlich auf Dauer.
Für eine/n Alkoholabhängige/n ist bedeutet jeder weitere Tag ohne Alkohol einen neuen Sieg über die Sucht. Jeder, der frisch trocken geworden ist, weiß, was es bedeutet, nicht wieder in alte Muster zu verfallen und auch, was es heißt, „Saufdruck“ zu haben.
Aber selbst nach Jahren Abstinenz gilt es, nicht überheblich zu werden, nicht die Bodenhaftung zu verlieren und sich stets daran zu erinnern, dass mein Alkoholismus eine Krankheit ist, die ich zwar nicht heilen, andererseits aber selber stoppen kann.
Auch Fälle eines Rückfalls nach langer, langer Zeit der Abstinenz haben wir ja in unserer Gruppe leider erlebt.
Rückfall ist jedoch keine Schande, es ist eine Schande liegen zu bleiben.
Eine unserer Grundregeln in der Gruppe, neben der Verschwiegenheit nach außen, ist, dass jede und jeder in unseren Gruppenstunden nur von sich redet.
Ich kann und werde also auch hier und heute im Folgenden nur von mir erzählen.
Mir steht meine Alkoholabhängigkeit nicht auf die Stirn geschrieben.
Ich war Hardcore-Trinker. Unter einer Tagesdosis von mindestens 1 Liter Hochprozentigem ging bei mir zuletzt gar nichts mehr.
Dabei war ich so genannter Spiegeltrinker, das soll heißen, auf eine gewisse Distanz war ich für andere unauffällig, man merkte mir nichts an.
So ganz nebenbei, sind Alkoholiker in ihrer Saufzeit begnadete Schauspieler und hervorragende Geschichtenerzähler. Ein Baron Münchhausen würde hier blass vor Neid.
Ein Leben als Alkoholiker ist der pure Stress. Die allermeisten Alkoholiker, so auch ich, behalten noch bis zuletzt einen Rest an Scham und irgendwo „schlechtem Gewissen“. Das eigentliche Saufen muss also heimlich geschehen, ebenso das Beschaffen von Alkohol, das Verstecken, das Anlegen von Vorräten und das Entsorgen von Leergut. Und von all diesem darf bitte, bitte niemand etwas merken und wenn doch, dann werden tausend Ausreden erfunden.
Auch an geregelten Schlaf war bei mir nicht zu denken. Immer wenn der Alkoholpegel absackte, ich unruhig und rappelig wurde, musste ich nachtanken, also auch mehrfach in der Nacht. Und dann morgens zur Arbeit, erst noch einen ordentlichen Schluck genommen, damit, wie es im Rheinland heißt, „dat Zittere ophöt“ und dann aber los mit - selbstverständlich - dem Auto.
Ich konnte aber nur funktionieren, wenn mein Alkoholpegel einen gewissen Blutgehalt hatte.
Bei unserer Krankheit gibt es nichts, was es nicht gibt. Auch meine Saufkarriere war für einen Alkoholiker schon ungewöhnlich. Bis zu meiner Entgiftung im Landeskrankenhaus Düsseldorf hatte ich Wohnung, Job, Familie, ja sogar den Führerschein behalten.
Glaubt Ihr mir, dass ich sogar jahrelang an Wochenenden in Düsseldorf ehrenamtlich Rettungswagen gefahren bin und dies mit mindestens 2 Promille intus?
Jeder Alkoholiker braucht seinen ganz persönlichen Tiefpunkt, den Punkt, an dem er kapiert und akzeptiert, dass die Sucht stärker ist als der eigene Wille, an dem er vor der Sucht kapituliert und fremde, fachliche Hilfe in Anspruch nimmt.
Ich hatte mich dann an diesem Punkt selbst eingewiesen und das große Glück, in der Entgiftung Selbsthilfegruppen kennenzulernen, neugierig zu sein und mich um meiner Willen hierauf einzulassen, allerdings zunächst nach dem Motto: Viel hilft viel!
Wieso eigentlich Selbsthilfe? Selbsthilfe ist Hilfe zur Selbsthilfe. Hier sitzen alles Betroffene an einem Tisch, denen keine oder keiner etwas vormachen kann, welche die eine oder andere Situation und auch Krise selbst durchlebt und durchlitten haben, die über ihre eigenen Erfahrungen berichten.
Was ich hiervon mitnehme, was ich daraus mache und was ich mir hiervon anziehe, das bleibt mir selbst überlassen. Laufen muss ich alleine.
Ebenso wie es nicht den typischen, stets gleichen Weg in die Sucht hinein gibt, gibt es auch nicht den allgemein gültigen Weg aus der Sucht heraus.
Ich kann aber immer aus den Erfahrungen anderer lernen.
Nicht, dass immer Hilfe kommt oder kommen kann. Aber allein das Sprechen, das Teilen, das Los-lassen kann eine echte Hilfe sein, frei machen. Und jede und jeder wird mit seinem „Ding“, seinem Anliegen immer ernst genommen.
Wie ein Gruppenmitglied einmal sagte: „Ich muss den ganzen Dreck jetzt einmal auf den Tisch kotzen!“.
Warum hilft Selbsthilfe? Die Frage kann, wenigstens ich, nicht beantworten. Das ist mir aber mittlerweile so ziemlich egal. Ich weiß nur, dass mir der Gruppenbesuch hilft. Es mag sein, dass es Alternativen gibt, aber ich will diese für mich eben nicht testen.
Ginge ein solcher Test daneben, dann wäre dies für mich tödlich.
Und das ist nicht einfach so daher gesagt.
Warum ich aber eigentlich gesoffen habe, das weiß kein Schwein.
Das weiß kein Schwein.
Wann immer ich oder andere diese Redensart gebrauchen, dann, wenn etwas völlig unklar oder rätselhaft ist.
Diese Redensart stammt aus Norddeutschland aus der Stadt Schleswig, in der eine Familie Swynn lebte. Da diese sehr belesen und beschlagen war, wurde diese häufig um Rat gefragt.
Konnten auch diese nicht helfen, sagten die Bauern und Städter, das weiß doch kein Swynn, woraus dann im Hochdeutschen „Schwein“ wurde.
Das weiß kein Schwein.
Warum ich gesoffen habe, weiß kein Schwein.
Ich weiß es auch nicht.
Im Ergebnis ist mir dies mittlerweile auch völlig egal.
In der Anfangszeit meiner Trockenheit habe ich mir häufig diese Frage gestellt.
Aber hätte mich eine Antwort wirklich zufrieden gestellt?
Hätte ich die Antwort nicht auch wieder in Frage gestellt und an ihr gezweifelt?
Und hätte mir eine Antwort wirklich geholfen?
Wohl eher nicht.
Heute ist es mir egal, ebenso wie eine mögliche Antwort auf die Frage, ob ich wirklich Alkoholiker bin oder warum der Besuch einer Selbsthilfegruppe hilft, zufrieden trocken zu sein.
Es gibt eben Dinge, auf die muss ich keine Antwort wissen und die ich so akzeptiere, wie sie nun einmal sind.