Ein neuer Anfang

Erst viel später, im Rückblick, habe ich erkannt, wie früh ich schon begonnen habe, mich zum Alkoholiker zu entwickeln. Das begann schon in der Lehrzeit.

Verschiedene Umstände haben dazu beigetragen, dass ich zum Einzelgänger wurde. Da war der frühe Tod meines Vaters, eine strenge Mutter, die mit verzweifelt wenig Geld versuchte, meine Schwester und mich zu versorgen, usw. usw. Soziale Kontakte blieben dabei auf der Strecke. Auch die Wiederheirat meiner Mutter hat daran nichts mehr geändert.

Einen Teil meines Lehrlingsgehaltes (stolze 160.- DM) lieferte ich zwar ab, aber vom Rest konnte ich mir schon mal etwas leisten. Nun hatte ich aber nie gelernt, mir eine Gemeinschaft zu suchen und diese auch zu pflegen. Um meine Sehnsucht nach Gemeinschaft zu stillen, nutzte ich schon damals den Alkohol, um meine Hemmungen zu lösen. Das begann bei meinen Lehrlingskollegen, setzte sich im Tanzkurs fort und bei der Bundeswehr trug schon der Gruppenzwang das seine bei, den Alkoholkonsum zu „kultivieren“.

Ein paar Jahre nach der Bundeswehr brach ich aus meiner, vermeintlich, engen Welt aus und suchte mir eine Arbeit in München. Der Unterschied zwischen Schwäbisch Hall, wo ich aufgewachsen bin, und München war natürlich riesig. In Gedanken habe ich mir damals meine neue Freiheit in den buntesten Farben ausgemalt. – Einen tollen Job, meine erste Freundin, eine tolle Stadt mit tausendundeinen Möglichkeiten, das musste doch das wahre Leben sein !?

Es würde zu weit führen, meine Alkoholikerkarriere in allen Einzelheiten zu schildern. Nur so viel: Die Freundin war bald weg. Ich konnte zwar gesellig sein, aber für eine echte Gemeinschaft reichte es nicht. Mein Job war super und ich verdiente immer mehr Geld, aber mein Alkoholkonsum wuchs auch. Auch eine kurze Beziehung änderte nichts daran. So blieben mir nur zwei Dinge, Arbeiten und Trinken. Zum Schluss war ich mehr in meiner Stammkneipe zu Hause, als in meiner Wohnung. Ich wurde immer einsamer und zog mich von den Menschen zurück. Was so schön zu werden versprach, versank in einer grauen Perspektivlosigkeit.

Dann verlor ich meine Arbeit. Durch Tricks konnte ich ziemlich lange den Schein waren. Ich vertröstete meinen Vermieter, die Bank und andere, die ihr Geld wollten. Bis schließlich Strom und Gas abgestellt wurden, der Wirt nichts mehr anschrieb und ich nichts mehr zu essen hatte. Die Zwangsräumung der Wohnung war abzusehen. Ich war am Ende.

In meiner Hilfs- und Sprachlosigkeit wusste ich mir keinen anderen Weg als den Suizid.

Gott sei Dank hat das nicht geklappt. Da ich den Selbstmordversuch indirekt angekündigt habe, hat mich die Polizei aus meiner verwahrlosten Wohnung geholt und in das Bezirkskrankenhaus Haar bei München gebracht.

Nach dem der erste Schock abgeklungen war und nach den ersten Gesprächen mit dem Psychologen wurde mir klar: - ich will leben !!! Das war wie ein innerer Aufschrei.

Dann begann mein neuer Anfang, mein neues Leben. Mit Hilfe meiner Familie, die ich bisher strikt aus meinem Leben ausgeschlossen hatte, löste ich meine Wohnung auf und brachte meine Schuldensituation in Ordnung. Dann durfte ich eine Therapie machen und anschließend in einer therapeutischen Wohngemeinschaft neu lernen, den Alltag zu organisieren. Nach ca. 3 Jahren zog ich nach Memmingen. Leider hatte ich dort einen Rückfall. Aber diesmal suchte ich mir ganz schnell Hilfe. Und die fand ich im Blauen Kreuz. Ich werde nie den ersten Satz vergessen, den ich dort hörte: „Schön dass Du da bist.“ Im Blauen Kreuz wurde ich aufgenommen wie in einer Familie und lernte in dieser Zeit so langsam wie lebensnotwendig eine tragfähige Gemeinschaft ist. Nach langen Jahren ohne ihn, lernte ich dort auch Gott wieder kennen und nach einigem Ringen habe ich mich zu unserm Herrn Jesus bekehrt. Daran war meine Frau nicht ganz unbeteiligt. Wir haben kurz nach meiner Bekehrung geheiratet.

Gott hat mich einen weiten Weg gehen lassen. Aber er hat mich immer so geführt, dass ich begreifen durfte, wann es dran war, alte und falsche Verhaltensweisen zu verlassen und einen neuen Anfang zu machen. Und so bin ich weiterhin auf dem Weg, mit der Gewissheit, dass ich jederzeit wieder zurück zum Vater kann, wenn ich mich verlaufen habe und dass ich mit seiner Hilfe wieder einen neuen und guten Weg gehen kann.


Reinhard Siegele

Sie möchten helfen?
Spenden Sie online. Schnell und sicher.