Montag, 19:00 Uhr. Ich bin ungewöhnlich nervös, denn in einer halben Stunde geht es los. Jeder der mich gut kennt, weiß, der Montag, das ist mein Gruppenabend. Das Zusammenkommen mit MEINER Gruppe ist mir wertvoll und sehr selten dürfen andere, vermeintlich wichtigere Dinge, dazwischenkommen. In der Regel wäre ich zwischendurch, also zwischen meiner Arbeit in der Bundeszentrale und dem Ehrenamt im Blauen Kreuz, gar nicht mehr nach Hause gekommen. Die beiden Orte liegen recht nah beieinander und der Weg nach Hause am frühen Montagabend lohnt sich nicht wirklich. In der Regel. Aber was genau ist in dieser Zeit noch regelhaft? Mein Leben ist verändert und dies nicht unwesentlich. Ich persönlich gewinne dieser Zeit, trotz aller dramatischen Entwicklungen und oft auch beängstigenden Nachrichten, viel Gutes ab. Ich habe den Eindruck, dass mir so ganz offiziell und von oberster Stelle der Stecker gezogen und die Erlaubnis erteilt wurde, das Bein einmal aus dem Hamsterrad zu stellen und selbiges gelegentlich hochzulegen, um sozusagen damit die Welt ein wenig gesünder zu machen.
Die ersten Tage, nachdem das Versammlungsverbot auch unsere Selbsthilfegruppen traf, war, wie überall, davon geprägt alles abzusagen. Sämtliche Gruppenstunden, Wanderveranstaltungen, Kaffeetreffs, Mitgliederversammlung und Sportaktivitäten, durchaus stolz darauf, auf kleinstem Dienstweg in kürzester Zeit die richtigen Entscheidungen getroffen zu haben und auch so als Vorstand Verantwortung für unseren Verein übernommen zu haben. Aber schnell stellte sich die Frage, wie geht es weiter, wie lange werden wir ausharren müssen, bis der normale Betrieb wieder anläuft. Reichen in dieser Zeit Kontakte per Telefon, WhatsApp und E-Mail? Zumal diese Kontakte das Gruppengefühl nur bedingt ersetzten.
Montag, 19:00 Uhr, ich bin ungewöhnlich nervös. Es ist mein erstes Mal. Mein Sohn und auch mein junger Kollege staunen nicht schlecht und begrüßen sehr, dass sich meine Bereitschaft, technische „Neuheiten“ zu lernen in den vergangenen Tagen stark verbessert hat. Ich habe alle Gruppenteilnehmer in die von mir organisierte Online-Gruppenveranstaltung per Link eingeladen, allen per WhatsApp hilfreiche Tipps zum Einloggen und zur Ausrüstung weitergeleitet. Nun sitze ich gespannt in meinem Wohnzimmer daheim und warte in dem seit einigen Tagen zu meinem Haus gehörenden Chat-Room darauf, MEINE Gruppenmitglieder zu begrüßen. Und dann kommen sie: Tina winkt mir fröhlich zu, Siggi schaut noch etwas angestrengt und versucht, die Kamera zu richten, Lisa fläzt sich entspannt auf ihrem Sofa, Uwe genießt nebenbei einen Kaffee, Rolf und Andrea schauen dem Treiben der anderen gespannt zu, André und Klaus feilen noch an der Technik. Und ich, ich bin einfach überwältigt davon, tatsächlich nun alle in meinem Haus versammelt zu haben. Nach einem großen Hallo beginnen wir unsere, fast normale, Veranstaltung mit einem Update jedes Einzelnen und kommen anschließend gut miteinander ins Gespräch. Unser Zusammensein macht mir viel Mut. So werden wir uns in den kommenden Monaten nicht aus den Augen verlieren und in gutem Kontakt bleiben können.
Marco hatte ausnahmsweise, da ja eigentlich davon auszugehen war, dass die Gruppe ausfällt, einen anderen Termin und schaltet sich auf der Heimfahrt im Auto dem Chat zu. Wir können ihn sehen und hören, während er mit den Augen selbstverständlich auf der Straße ist. Mit dem Herzen aber ist er dabei, wie wir alle!
Claudia Dammasch
Foto: allie-smith/unsplash