Vom 14. bis 20. Februar 2021 findet die bundesweite Aktionswoche für Kinder aus suchtkranken Familien statt. In der Aktionswoche weisen zahlreiche Veranstaltungen auf die Situation der Kinder aus Suchtfamilien hin und unterstreichen die politischen Forderungen. Die beiden Vereine „NACOA Deutschland“ (Berlin) und „Such(t)- und Wendepunkt“ (Hamburg) sind die Initiatoren der Aktionswoche.
In Deutschland gelten 1,77 Millionen Menschen als alkoholabhängig – mit der Krankheit zu tun haben weitaus mehr Menschen: Freunde, Kollegen, Verwandte. Kinder, welche bei einem suchtkranken Elternteil aufwachsen, müssen tagtäglich erleben, dass Mama oder Papa betrunken ist.
Man schätzt, dass ca. jedes 6. Kind unter 18 Jahren in einem Haushalt mit einem suchtkranken Elternteil aufwächst. Kinder und Jugendliche aus Suchtfamilien (Children of Addicts= CoA) sind mit der Alkoholabhängigkeit und den Folgen der Sucht konfrontiert. Mit drogensüchtigen Eltern leben ca. 40.000 bis 60.000 Kinder zusammen. Die Bundesbeauftragte schätzt die Zahl der Coas in Deutschland auf 3 Millionen, geht aber von einer hohen Dunkelziffer aus.
Die Substanzabhängigkeit hat Auswirkungen auf die Erziehungsfähigkeit und die Entwicklung der Kinder. Für Kinder bedeutet Sucht eines oder beider Elternteile immer, dass sie in einer Atmosphäre von extremer Unsicherheit und Angst aufwachsen. Auch suchtkranke Eltern lieben ihre Kinder. Sie sind jedoch meistens nicht in der Lage, ihnen die nötige Zeit, Zuwendung, Zuverlässigkeit und Unterstützung zu geben, wie Kinder dies in einem gesunden Umfeld erfahren. Suchtbedingt neigen suchtkranke Eltern zu starken Stimmungsschwankungen und zeigen oft ein unberechenbares Verhalten von depressiv verstimmt sein bis hin zur verbalen und körperlichen Aggressivität gegenüber den Kindern und/oder dem Partner. Kinder aus Suchtfamilien erleben häufiger Misshandlung, sexuellen Missbrauch sowie Vernachlässigung als Kinder aus nicht suchtkranken Familien.
Zitat eines Patienten, der alkoholabhängige Eltern hatte: „Meine Eltern haben sich nicht um mich und meine Geschwister gekümmert. Es gab nichts zu essen. Wir sind oft zu den Nachbarn gegangen, wenn wir Hunger hatten. Wenn mein Vater Schnaps trank, wurde es für uns gefährlich. Dann schlug er oft zu.“ Dies kann bei den Kindern und Jugendlichen auf Dauer zu seelischen Erkrankungen führen, wie beispielsweise Ängste, Panikattacken, Essstörungen, erhöhte Aggressivität, selbstverletzendes Verhalten, Depressionen. Etwa ein Drittel der Kinder aus Suchtfamilien entwickelt in der Folge Suchtstörungen, ein weiteres Drittel zeigt psychische und soziale Störungen. Kinder aus Suchtfamilien übernehmen oft schon im Grundschulalter übermäßig viel Verantwortung (z. B. einkaufen gehen, Mahlzeiten zubereiten, sich um jüngere Geschwister kümmern, das suchtkranke Elternteil zu Bett bringen), kommen aber mit ihren eigenen Bedürfnissen zu kurz.
Für diese Kinder und Jugendlichen stellten und stellen die Lockdowns und Kontaktbeschränkungen der vergangenen Monate eine besondere Belastung dar. Der Stress in den Familien stieg und damit auch der Alkohol- und Drogenkonsum der Eltern. Für Kinder aus Suchtfamilien bedeutete dies eine noch stärkere Bedrohung durch die Folgen der Sucht, etwa häusliche Gewalt.
Für Kinder aus suchtbelastenden Familien sind Maßnahmen notwendig, die früh einsetzen (Frühintervention), die das vorhandene Risiko angemessen wahrnehmen und die ganze Familie einschließen (z. B. Familienberatung und/ oder Familientherapie). In der Therapie des Suchtkranken geht es nicht nur darum, die Sucht dauerhaft zu bewältigen, sondern auch darum, den Betroffenen zu guter Elternschaft zu motivieren und ihn/sie darin zu unterstützen.
Zur Verbesserung der Situation von Kindern aus suchtbelasteten Familien ist es daher wichtig und notwendig, sowohl die ganze Familie in den therapeutischen Prozess miteinzubeziehen als auch in nachgehende Hilfen zu vermitteln (z. B. ambulante Familientherapie, Erziehungsberatungsstellen, Suchtberatungsstelle, Vermittlung in Kinderpsychotherapie, Familienhilfe durch das Jugendamt).
Im Curt-von-Knobelsdorff-Haus des Blauen Kreuzes werden neben paartherapeutischen Gesprächen sowie Gesprächen mit Angehörigen (erwachsenen Kindern, Eltern, Geschwister) auch Ehe- und Angehörigenseminare angeboten. Darüber hinaus plant die Klinik eine stärkere Vernetzung mit z. B. Schulen, Kindertagesstätten, dem Jugendamt sowie Kinderärzten, um möglichst früh zu intervenieren und den Kindern bzw. Familien optimal zu helfen.
Alle Wuppertaler Sucht- und Drogenberatungsstellen sowie eine Erziehungsberatungsstelle werden per Telefon zu bestimmten Zeiten für die Jugendlichen erreichbar sein. Bei Bedarf kann das Telefonat anonym erfolgen. Hier können sich die Jugendlichen über verschiedene Themen informieren. Weitere Infos: https://www.coa2021wuppertal.de/
Das Blaukreuz-Zentrum München bietet im Rahmen der Aktionswoche am Freitag, 19.2.2021 von 11 bis 12 Uhr eine Telefonsprechstunde zu diesem Thema an. Einfach anrufen unter 08966593560 und kostenlose Beratung erhalten.
Drachenherz Marburg beteiligt sich ebenfalls jedes Jahr mit Aktionen an der Aktionswoche. Mehr zu Drachenherz Marburg erfahren Sie hier: www.blaues-kreuz.de/drachenherz-marburg. Die Aktion verfolgen können Sie auf Instagram: https://www.instagram.com/echtfuerdichda/?hl=de
Christine Toth, Curt-von-Knobelsdorff-Haus, und Evelyn Fast, Bundeszentrale